Lerneinheit 4

Explorative Visualisierung

 

Ziele von Lerneinheit 4

 


4.1 Merkmale der "Wissenschaftlichen Visualisierung"
 

Auf die Idee der Wissenschaftlichen Visualisierung (bzw. der "Visualization in Scientific Computing", ViSC) wurde bereits in der ersten Lerneinheit eingegangen. Als wesentliche Merkmale sind zu nennen:

·       Die Visualisierung dient primär der Exploration.

·       Es wird ein hoher Interaktionsgrad benötigt.

·       ViSC dient der Detektion in den Daten verborgener (in Verbindung mit der Geovisualisierung: räumlich-thematischer) Zusammenhänge.

·       Der Anwender arbeitet zumeist monologisch ("private").

·       Die Vorgehensweise ist zumeist iterativ.

 

 

·       Sie zeichnet sich durch eine Vielzahl verschiedener Visualisierungstechniken (Filter und Mapper) aus, die häufig in Kombination angewendet werden.

·       Die explorierten Daten weisen häufig eine hohe Dimensionalität auf (hohe thematische Dimension, räumlich 3D, unter Umständen zeitlich dynamisch).

 

In dieser Lerneinheit sollen ausgewählte typische Visualisierungstechniken aus dem ViSC-Umfeld beschrieben werden, die in Verbindung mit der Verarbeitung raumbezogener Information eine hohe Anwendungsrelevanz aufweisen.

 

4.2 Datenfluss-Paradigma

 

Viele der verfügbaren Anwendungen zur Wissenschaftlichen (Geo-) Visualisierung basieren in ihrer Umsetzung auf dem Datenfluss-Paradigma. Datenfluss-orientierte Programmier­schnitt­stellen er­mög­lichen die An­ordnung der zu visuali­sierenden Daten in struk­turierten Netz­werken und sind konzeptuell eng an die Visualisierungs­-Pipeline angelehnt. Als promi­nente Vertreter sind zum Beispiel der Data Explorer, Kho­ros oder AVS zu nen­nen.

 

Das folgende Beispiel zeigt eine hypsometrisch eingefärbte Relief-Darstellung und zwei Slicer durch ein Temperaturfeld (Lufttemperaturen), die unter Verwendung der Software AVS erstellt wurde.

 

 

·       In Fenster (1) finden sich die instanziierten Verarbeitungseinheiten (Module), welche die Daten transformieren, wider. Bei diesen Modulen kann es sich um Dateneinlese-Module, Filter, Mapper oder Viewer für die Anzeige von Visualisierungsobjekten handeln.

·       Fenster (2) zeigt das aufgebaute Netzwerk. Im vorliegenden Fall werden das Geländemodell und das 3D-Feld mit den Lufttemperaturen eingelesen (jeweils über ein "read_field"-Modul) und Farbkeile für die Umsetzung der Höhen- und Temperaturwerte in Farben festgelegt (zwei "generate_colormap"-Module). Da die eingelesenen Felder verschiedene thematische Größen enthalten, sind Filter-Einheiten zur Extraktion der benötigten Größen in das Netzwerk eingebaut ("extract_scalar"-Module). Als Mapper fungieren im Beispiel verschiedene Slicer-Module. Um die generierten Visualisierungsobjekte darzustellen, werden die transformierten Daten zuletzt an einen Viewer übergeben ("geometry_viewer").

·       Fenster (3) ist eine Instanz des Viewers.

 

Die Verknüpfungen lassen sich zur Systemlaufzeit (d. h., während das Programm ausgeführt wird) ändern. Die Module können prinzipiell in eigenen Prozessen ablaufen, wodurch sich Möglichkeiten zur parallelen Auswertung des Netzwerkes ergeben. Bei einer Änderung des Netzwerkes oder von Modul-Parametern (Eingabedateien, Farbkeile, Schwellwerte) oder der Netzwerk-Topologie werden nur diejenigen Netzwerk-Teile neu berechnet, in denen Änderungen stattgefunden haben.

 

Da für AVS weltweit eine Vielzahl von Modulen für die unterschiedlichsten Anwendungsdisziplinen und -zwecke verfügbar ist, bietet eine derartige Umgebung eine Möglichkeit, sehr schnell Daten und 3D-Visualisierungen umzusetzen und Daten zu explorieren. Die Visualisierungstechniken spiegeln sich dabei primär in den Mapper-Modulen wider.

 

 

4.3 Ausgewählte Visualisierungstechniken

 

4.3.1 Glyphen-Darstellungen

 

Glyphen-Darstellungen ermöglichen die gleichzeitige Dar­stellung von mehr als 20 thematischen Werten.

 

2D-Beispiel (Dorling 1996): Die verschiedenen thematischen Parameter werden auf die Parameter eines Gesichtes abgebildet (Tschernoff-Gesichter):

 

 

3D-Beispiel: Verwendung von Glyphen zur Visualisierung von Strömungsdaten; Parameter der Pfeil-Glyphen: Richtung, Größe, Farbe.

 

 

 

 

4.3.2 Linking- und Brushing-Techniken

 

Insbesondere im Umfeld der explorativen Visualisierung sind Linking- und Brushing-Techniken oft nutzbringend einsetzbar, um Hinweise auf räum­liche, thematische und/oder zeitliche Objektbeziehungen zu gewinnen. Unter Linking wird dabei die Verknüpfung visu­eller Dar­stellungen ausgewählter ("fokussierter") Teile einer Daten­menge ver­stan­den. Brushing (engl. to brush = leicht be­rühren, streifen) bezeichnet eine Methode der direkt-mani­pu­lativen Interaktion mit dem Dargestellten. Hierbei führt die Aus­wahl eines Visualisie­rungsobjekts zur visu­ellen Hervorhebung korre­spon­die­ren­der Ele­mente in anderen Ansichten. Unter­schei­den lassen sich dabei "carto­graphic brush­ing" (der Anwender klickt in die grafische Dar­stellung), "attribute brush­ing" (Klicken auf ein Diagramm oder eine Tabelle, in der thematische Attribute angezeigt wer­den) und "temporal brushing" (zum Beispiel Klicken auf eine Zeit­achse).

 

 

4.3.3 Visualisierung skalarer Felder

 

Für die Visualisierung von Feldern mit reell-zahligen thematischen Werten sind zahlreiche Visualisierungstechniken verfügbar. Die Slicing-Techniken wurden bereits in Lerneinheit 1 vorgestellt. Das nachfolgende Beispiel aus dem Umfeld der klimatologischen Forschung zeigt einen horizontalen Slicer durch ein 3D-Temperaturfeld. Kalte Temperaturen werden in Blau, warme Temperaturen in Rot angezeigt. Für explorative Visualisierungszwecke ist es wesentlich, dass die Temperatur- bzw. Farbwerte in den Vertizes des dem Slicer zugrunde liegenden Shapes in Echtzeit ermittelt werden können. Dies erfordert in der Regel den Einsatz von 3D-Interpolationsverfahren (z. B. eine trilineare Interpolation).

 

Diese und die nachfolgenden Visualisierungen wurden mit Hilfe der Software Vis5D der University of Wisconsin erzeugt.

 

Eine weitere Visualisierungsmöglichkeit bietet das sogenannte Volumen-Rendering. Hierbei wird jedes Voxel (Kurzwort für "volume element", entsprechend dem Begriff des Pixels für den 3D-Fall) unter Verwendung eines Farbwertes mit Alpha-Wert dargestellt. Die nachfolgende Abbildung für das oben stehende Beispiel zeigt eine Visualisierung für a = 1. Jedes Voxel wird dabei durch einen voll-opaken Quader dargestellt.

 

 

In der nachstehenden Abbildung wurden Alpha-Werte < 1 verwendet. Nicht allen thematischen Werten wurde dabei ein einheitliches a zugewiesen (sehr kleines a für die gelblich und dunkelblau dargestellten Temperaturen).

 

 

Häufig nutzbringend einsetzbar sind Isoflächen-Darstellungen ("Isolinien-Äquivalent für den 3D-Fall"). Die folgende Abbildung zeigt orange dargestellt eine Isofläche für die Luftdruck-Werte (im Hintergrund ist ein vertikaler Slicer mit einer Darstellung des Windfeldes zu sehen).

 

 

Für die Isoflächen-Berechnung lässt sich der Marching-Cubes-Algorithmus verwenden. Grundlage dieses Algorithmus ist eine Unterscheidung der 15 Fälle, die für die Lage der Isoflächen-Elemente innerhalb eines Voxels auftreten können.

 

 

4.3.4 Strömungsvisualisierung

 

Für die Visualisierung von Strömungsfeldern (z. B. Wasser- oder Luftströmungen) sind zahlreiche spezielle Techniken verfügbar. Weiteste Verbreitung dürften Pfeil-Darstellungen haben. Ein Pfeil lässt sich dabei als spezieller Glyph auffassen, der stets die räumliche Position (im Regelfall belegt  durch die Geokoordinate) und Orientierung (Richtung) als Parameter beinhaltet. Optional treten die Parameter Länge, Farbe, Breite etc. hinzu, die sich für die Darstellung weiterer an der Position vorliegender thematischer Werte verwenden lassen. Die nachfolgende Abbildung zeigt einen Slicer mit Windpfeilen:

 

 

Eine weitere wichtige Technik ist die Partikelverfolgung (Aussetzen von "Tracern"). Vielfach ist hierbei die Zeit-Abhängigkeit des Ausbreitungsprozesses zu beachten.

 

 

Die Berechnung erfolgt zumeist durch numerische Integrationsverfahren. Die Stabilität der verwendeten Verfahren hängt dabei häufig von der Charakteristik des zugrunde liegenden Strömungsfeldes und der räumlichen (und ggf. zeitlichen) Integrationsschrittweiten ab. Die eingesetzten Verfahren sind insofern auf diese Eigenschaften hin zu prüfen. 

 

Zur Darstellung zeitlicher Abläufe eignen sich insbesondere Animationstechniken.

 

Stellvertretend für die zahlreichen weiteren verfügbaren Visualisierungstechniken sollen an dieser Stelle nur Stromlinien bzw. Stromflächen und Feature-Extraction-Techniken zur Extraktion von Extrema, Zirkulationssystemen, Wirbeln etc. in den Daten genannt werden.

 

 

4.4 Ansätze zur Automatisierung der VisualisierungsaufgabeÙ

 

Eine der zentralen Aufgaben der Geovisualisierung (die sich neben dreidimen­sionalen auch mit zwei­dimen­sionalen Darstellungen befasst) besteht in der Umsetzung der Geo­daten in Visualisierungsobjekte. Innerhalb der Visualisierungspipeline wird dieser Schritt zumeist einfach als Abbildungsschritt ("mapping") bezeichnet. Bedingt durch die hohe Zahl verschiedener Geometrie- und Attribut­typen und sich zuordnen lassender Visualisierungen wächst der Lösungsraum hierbei zu­nächst kombi­na­torisch an. Prak­tisch ist allerdings eine Be­grenzung des Lösungs­raums gegeben, da viele der Kombi­na­tionen zu nicht-sinnvollen Visualisierungen führen würden.

 

Die generierten Visualisierungen sollten ausdrucksfähig ("expressiv") und effektiv sein. Eine nicht-expressive Darstellung liegt zum Beispiel dann vor, wenn den visuell wahrnehmbaren Objekten und Relationen wichtige Eigen­schaften des Re­prä­sen­tierten feh­len. Weitergehend können Visualisierungen auch regelrecht "falsch" sein, zum Beispiel, wenn durch die Visualisierung Eigen­schaften kommuniziert werden, welche die repräsentierten Daten nicht aufweisen. Effekti­vität kann als Maß dafür aufgefasst werden, wie gut die Visua­li­sierung ihre Auf­gaben­stellung erfüllt. Quantitative Effekti­vi­täts­maße lassen sich zum Beispiel aus Messungen, wie gut Testaufgaben durch verschiedene Nutzer­gruppen bearbeitet werden können, ableiten.

 

Verschiedene Forscher haben während der letzten Jahre dis­kutiert, auf wel­che Art und Weise sich ausgehend von der Charakteristik der zu visuali­sie­renden Geo­daten für den jeweils vorliegenden Einsatzzweck geeignete Visualisierungen gene­rieren lassen. Festgestellt wurde, dass der Abbildungsschritt sich durchaus auto­mati­sie­ren lässt und dem An­wender intelligente Visua­li­sierungshilfen an die Hand gegeben wer­den kön­nen. Die Möglich­keit des Zugriffs auf Meta­daten zur Datencharakteristik stellt hierbei ein wesentliches Hilfs­mittel dar. Das Thema adäquater visueller Repräsentation ist allerdings weiterhin ein zentrales For­schungsthema der Geovisualisierung: Beispielsweise sind fotorealistische Dar­stellun­gen, immersive Visualisierungen aus dem VR-Umfeld oder multimodale Um­setzungen noch nicht hinreichend untersucht. Darüber hinaus wird eine wei­tere Auto­matisierung des Ab­bil­dungs­schrittes angestrebt.

 

 

Fragen zu Lerneinheit 4

*** in Arbeit ***